Heike war eine der ersten Teilnehmerinnen von WIRKLICH WIRKSAM. Ihre Teilnahme hat sie ermutigt, sich einem neuen Thema zu widmen – unter Berücksichtigung vielfältiger Perspektiven.
Heike Hagemann (Jahrgang 1960) arbeitet als Einkäuferin in einem Entsorgungsunternehmen. Sie beschreibt sich selbst als organisiert, strukturiert und oft mit einem Hang zur Perfektion. Eigenschaften, die ihr zwar manchmal im Weg stehen, die es ihr aber auch ermöglicht haben, neben ihrer Rolle als Mutter von zwei Kindern ein berufsbegleitendes Studium der Wirtschaftsinformatik zu absolvieren.
In ihrer Freizeit widmet sie sich vor allem zwei Themen: Unternehmungen mit Familie und Freunden und der intensiven Beschäftigung mit dem Land Gambia. Dort ist Heike seit mehreren Jahren als ehrenamtliches Mitglied einer deutschen Organisation aktiv. Zwei Schlagworte liegen ihr besonders am Herzen: Frieden und globale Gerechtigkeit. Das ist es, was Heike in ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement antreibt.
Der Fokus liegt auf Gambia
Schon lange vor ihrer Teilnahme an WIRKLICH WIRKSAM war Heike ehrenamtlich aktiv. Seit jeher war sie vom afrikanischen Kontinent begeistert. Sie reiste durch Tunesien, Marokko und Südafrika. Im Jahr 2011 stieß sie auf den Verein „Socialis for the Gambia“ aus Amberg. Ihre spontane Entscheidung, eine Mitgliedschaft abzuschließen, führte sie sechs Jahre später zu der Teilnahme an einer Gambia-Reise für Mitglieder des Vereins. Dort lernte sie Land und Leute abseits touristischer Routen sowie die vom Verein unterstützten Schulen und Ausbildungsstätten kennen.
Aus dieser Reise heraus entsprang die Idee, ihre Erlebnisse und Erkenntnisse mit anderen zu teilen. Und so beschloss Heike, regelmäßig Fotoabende zu organisieren, um von ihren intensiven Erfahrungen zu berichten. Auf diese Weise gelang es ihr, rund 500 Kilometer vom eigentlichen Vereinssitz entfernt, neue Mitglieder und neue Spender*innen sowie Sponsoren für die Finanzierung einer Solaranlage, von Nähmaschinen und Schulmöbeln zu gewinnen. Darüber hinaus veröffentlicht Heike ihre Gedanken und vielfältige Informationen über Gambia in einem persönlichen Blog.
„Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“
Doch zwei Aspekte beschäftigten Heike während ihrer Fotoabende immer wieder: die Unsicherheit, ob die Art und Weise, wie sie ihre Erlebnisse und die Menschen in Gambia darstellt und beschreibt, vielfältig genug ist und darüber hinaus unterschiedliche Perspektiven zulässt und ob die Art der Veranstaltungsform genügend Dialog bietet.
Mit dem Wunsch, auf beide Fragen eine hilfreiche Antwort zu finden, meldete sich Heike bei WIRKLICH WIRKSAM an. „Direkt nach der ersten Session bin ich inspiriert und emotional aufgewühlt mit vielen neuen Gedanken heimgefahren“, schildert die gebürtige Dortmunderin ihre ersten Eindrücke. Die Teilnahme, sagt sie, „hat den Blickwinkel auf ihr aktives Engagement verändert“. So sei es ihr gelungen, ihr „einseitiges Bild von Afrika“, das die Menschen meist „arm, krank und ungebildet“ zeige, kritisch zu überdenken und neue Perspektiven einzunehmen.
Insbesondere der TED-Talk „Die Gefahr einer einzigen Geschichte“ und die Auseinandersetzung mit bildhaften Vorurteilen haben Heike „tief beeindruckt“ und ihr gezeigt, „wie schnell Single Storys oder Klischees entstehen“ können. „Dieses Thema beschäftigt mich bis heute, insbesondere beim Schreiben des Blogs und bei Auswahl der Themen und Fotos für meine Fotoabende.“
Abfallentsorgung ist ein großes Problem
Während ihr bisheriges Engagement mehr darauf ausgerichtet war, den Verein bestmöglich zu unterstützen, hat Heike durch die Teilnahme an WIRKLICH WIRKSAM eine eigene Idee entwickelt. Im folgenden Interview erzählt sie davon.
MICHAEL: Was hat dich dazu bewogen, dein Engagement auf eine eigene Initiative auszuweiten?
HEIKE: Die Reflexion meiner persönlichen Potenziale, der damit verbundene Austausch mit anderen Teilnehmenden und die Aufforderung, auch einmal utopisch zu denken, haben mir den Mut gegeben, mich mit dem Thema Müllentsorgung in Gambia zu beschäftigen. Wie gravierend dieses Problem ist, ist mir schon bei meiner Reise im Jahr 2017 aufgefallen. Aber ich habe mich immer wieder gefragt: Was kann ich allein schon ausrichten? Es war dann letztlich der Rahmen, den mir WIRKLICH WIRKSAM gegeben hat, um mich näher mit diesem Thema zu beschäftigen.
MICHAEL: Kannst du das Problem der Müllentsorgung genauer beschreiben? Was sind mögliche Ursachen und Folgen?
HEIKE: Das Problem besteht darin, dass die Menschen aufgrund eines fehlenden Abfallkonzeptes seitens der gambischen Behörden ihren Müll auf der Straße entsorgen. Es entstehen immer mehr wilde Müllhalden, auf denen das Vieh nach Futter sucht und Kinder spielen. Entstehende Wasserlachen gelangen ins Grundwasser, kleine Brände verseuchen die Luft. Die Menschen werden krank, besonders die Kinder leiden oft unter Husten.
MICHAEL: Du hast vorhin von einer Utopie gesprochen. Welche Utopie verfolgst du mit deinem Vorhaben?
HEIKE: Mein Ziel ist, insbesondere den Kindern und Jugendlichen eine Struktur für ein sauberes und lebenswertes Umfeld mit Zukunftsaussichten im eigenen Land zu ermöglichen.
MICHAEL: Jetzt ist natürlich die spannende Frage: Wie kommst du dahin? Was sind deine Schritte zum Ziel?
HEIKE: Im Einzelnen habe ich bisher folgende Schritte unternommen: Bei einer erneuten Reise im März 2023 habe ich vor Ort mit unserem Vereinsmanager und den Lehrern, mit Residenten, mit einem befreundeten gambischen Ehepaar sowie mit meiner in Gambia lebenden deutschen Freundin Waltraud gesprochen – ausnahmslos alle wünschen sich eine Lösung für das Müllproblem.
Daraufhin habe ich mit Waltraud Mustapha besucht, den Leiter einer Entsorgungsfirma. Und ich war sehr erstaunt. Wir haben mit vielen Menschen gesprochen, aber niemand wusste, dass es in Gambia bereits eine Müllabfuhr in einem Bezirk gibt. Mustapha hat uns die Verwaltung inklusive Software und den Fuhrpark gezeigt. Insofern stellte sich für mich die Frage, warum dies nicht auch in anderen Bezirken umgesetzt wurde bzw. werden könnte. Hierzu möchte ich mich während meiner nächsten Reise bei den zuständigen Behörden informieren.
Nach meiner Reise habe ich meinen Arbeitgeber um Unterstützung gebeten. Zurzeit werden Schulungsunterlagen für den Umweltunterricht an einer Schule in Gambia erstellt, um die Kinder zu informieren und zu sensibilisieren. Die Kinder nehmen das Wissen mit nach Hause und geben es an ihre Familien weiter. So werden auch Menschen erreicht, die nicht lesen können.
MICHAEL: Das klingt nach viel Einsatz und Willensstärke. Setzt du deine Initiative alleine um oder hast du bereits Verbündete gefunden?
HEIKE: Im September dieses Jahres nehme ich in Münster an einem Gambia-Forum teil und hoffe, dort unter den Teilnehmenden Verbündete für mein Thema zu finden, um diese große Herausforderung der strukturellen Veränderung gemeinsam anzugehen und auch Synergien zu nutzen. Mein Motto lautet: Wenn Du schnell gehen willst, gehe allein. Wenn Du weit kommen willst, gehe mit anderen.
MICHAEL: Und wie geht es dann konkret weiter?
HEIKE: Neben meinen bisherigen Informationen und Recherchen habe ich eine Übersichtsskizze erstellt, die auch die Beziehungen zwischen NGOs, möglichen Sponsoren, bestehenden Projekten und gambischen Behörden beinhaltet und die ich regelmäßig aktualisiere. Daraus werde ich vor meiner nächsten Reise weitere To-Dos ableiten. Bei meinem nächsten Aufenthalt möchte ich vor Ort in Gambia – je nach aktueller Situation – im Umfeld unserer Schule eine Müllsammelaktion organisieren und die einmalige Entsorgung der wilden Müllansammlungen klären.
MICHAEL: Abschließend möchte ich gerne mit dir auf deine Teilnahme am Programm blicken. Wenn du in wenigen Sätzen zusammenfassen müsstest, welche Botschaft oder Erkenntnis du aus WIRKLICH WIRKSAM mitgenommen hast: Welche wäre das?
HEIKE: Jeder, der sich engagiert oder engagieren möchte, sollte dieses Seminar besuchen. Es ist eine persönliche Bereicherung für einen selbst und multipliziert sich durch die Erfahrungen und das Feedback der anderen Teilnehmenden und deren Themen. WIRKLICH WIRKSAM hat mir gezeigt, dass ich mein Engagement menschenwürdig gestalten möchte, anstatt eindimensionale „Single Storys“ zu verbreiten. Die Erkenntnis, dass Veränderungen innerhalb von Strukturen langlebiger sind als punktuelles Engagement, gibt mir immer noch zu denken. Und ich beschäftige mich weiterhin mit der Zauberfrage: „Würde die Veränderung, die ich durch mein bisheriges Engagement bewirke, bleiben, wenn ich aufhören würde aktiv zu sein?“
MICHAEL: Gab es Momente während deiner Teilnahme, die dich besonders nachdenklich gemacht haben?
HEIKE: Die Sitzung zum Thema Kolonialismus war sehr emotional. Haben wir uns auch einen „Platz an der Sonne“ gesichert? Nach diesem Expertenvortrag hatte ich sofort Bilder im Kopf. Denn bei meiner ersten Reise nach Gambia im Jahr 2017 besuchten wir Kunta Kinteh Island und standen dort vor dem „Never Again“-Denkmal. Die Insel mit historischer Bedeutung für den Sklavenhandel gehört heute zum Weltkulturerbe der UNESCO. Ein unvergesslicher Moment.
MICHAEL: Das Ziel von WIRKLICH WIRKSAM ist es ja, den Weg zum persönlichen zivilgesellschaftlichen Engagement zu ebnen. Du hast eben auch von „persönlicher Bereicherung“ gesprochen. Das heißt, du hast neben der konkreten Entwicklung deines Vorhabens auch weiteren Mehrwert gespürt?
HEIKE: Ja, denn mir ist bewusst geworden, dass mir mein Gambia-Thema – obwohl ich viel Freizeit investiere – Energie gibt und mich motiviert. Ich merke, dass die vielen lieben Menschen, die ich in Gambia kennengelernt habe und auch die Menschen, die an meinen Fotoabenden teilnehmen, mein Engagement wertschätzen. Zudem nehme ich auch Dinge anders wahr, zum Beispiel, dass ich meine Ansprüche und Anforderungen nicht auf Gambia übertragen kann. Die Menschen vor Ort wissen selbst besser, was für sie machbar und richtig ist. Die Sensibilisierung für das Thema der Müllentsorgung kann nur funktionieren, wenn viele mitmachen. Insofern ist der Umweltunterricht an der Schule ein möglicher Ansatz, um die Menschen zu informieren.
Und dann ist da noch unsere Gruppe, die ist wirklich klasse! Trotz oder vielleicht gerade wegen unserer Altersstruktur von Mitte 20 bis 60 und egal ob Student, Freiberufler oder Rentner gab es in den unterschiedlichsten Konstellationen der Gruppenarbeiten immer einen offenen, ehrlichen und lösungsorientierten Austausch.
Ich habe mich auf jede neue Session gefreut und wir stehen auch heute noch in Kontakt. Und besonders durch die Unterstützung der Gruppe habe ich den Mut gefunden, mich mit dem komplexen Thema der Abfallentsorgung in Gambia zu beschäftigen.
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Wenn auch du Heike bei ihrem Vorhaben in Dortmund unterstützen möchtest, dann melde dich gerne per Mail unter: GambiaDortmund@icloud.com oder besuche Heikes Blog: https://gambiadortmund.de